F. Rauh: Bewegte Bilder für eine entwickelte Welt

Cover
Titel
Bewegte Bilder für eine entwickelte Welt. Die Dokumentarfilme von René Gardi, Ulrich Schweizer und Peter von Gunten in der Schweizer Entwicklungsdebatte, 1959–1986


Autor(en)
Rauh, Felix
Erschienen
Zürich 2018: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
270 S., 50 Farbabb.
Preis
CHF 48,00, € 43,00
URL
von
Franziska Loretan-Diener

Die Monografie von Felix Rauh geht aus seiner 2017 an der Universität Luzern abgeschlossenen Dissertation hervor, in welcher er den Einfluss von Dokumentarfilmen auf die Entwicklungsdebatte in der Schweiz 1959–1986 untersucht. Der bedeutende Einfluss von Dokumentarfilmen auf die Entwicklungsdebatte der 1960er–1980er Jahre, so seine These, sei auf drei Hauptgründe zurückzuführen: Die fruchtbare Zusammenarbeit von Entwicklungsakteuren mit Filmschaffenden und Vertrieb, die Breitenwirkung der Filme dank geschickt gesteuertem Gebrauch sowie die in den Filmen verwendeten erzählerischen Motive.

Dieser These nähert sich Rauh in einer «Zoombewegung» (S. 23) an, welche durch die Gliederung des Werkes in drei Teile abgebildet wird. Im ersten Teil, welcher den äussersten Rahmen bildet, zeigt er den Wandel der Entwicklungsdebatte, Produktionsbedingungen und Verbreitungskanäle auf. Parallel zum Wandel in der Entwicklungsdebatte von der Modernisierungstheorie hin zur Dependenztheorie veränderten sich auch die Filme. Dienten diese in den 1960er Jahren noch primär der Legitimierung von Entwicklungshilfe, zielten sie ab Anfang den 1970er Jahren vermehrt auf die entwicklungspolitische Bewusstseinsbildung ab. Das Schweizer Publikum sollte nicht mehr einfach vom Sinn der Entwicklungshilfe überzeugt werden, sondern angeregt werden, die globalen Machtstrukturen und die Abhängigkeit des Südens vom Norden zu hinterfragen. In den 1980er Jahren wandten sich die Filmschaffenden zunehmend vom anwaltschaftlichen Film ab, gleichzeitig wurden vermehrt Eigenproduktionen aus dem Süden gefördert. Daher erklärt sich auch die Wahl des Untersuchungszeitraumes von den Anfängen der Entwicklungshilfe bis hin zum erwähnten Bruch zwischen Filmern und Entwicklungsakteuren.

Im umfangreichen und inhaltlich zentralen zweiten Teil liefert Rauh drei detaillierte Fallstudien über den Entstehungskontext, Inhalt und die Wirkung auf die Entwicklungsdebatte der Filme von René Gardi, Ulrich Schweizer und Peter von Gunten. Im Vergleich zur nüchternen Sprache des ersten Teils argumentiert Rauh hier pointierter, stellenweise gar sehr zugespitzt. Die Fallbeispiele stehen exemplarisch für drei unterschiedliche Typen von Filmschaffenden und für das sich wandelnde Entwicklungshilfenarrativ. René Gardi steht für die frühen Entwicklungshilfefilme der 1960er Jahre, welche geprägt sind von populärethnografischen Darstellungen und einer paternalistischen Sichtweise auf den Süden. Er war der Modernisierung gegenüber sehr kritisch eingestellt und seine Arbeiten wiesen kolonialnostalgische Züge auf. Während René Gardi sich als Unternehmer verstand, der Aufträge von Entwicklungsorganisationen ausführte, arbeitete Ulrich Schweizer sehr eng mit der Kooperation Evangelischer Kirchen und Missionen in der deutschsprachigen Schweiz (KEM) zusammen. Anders als Gardi hinterfragte Schweizer den Sinn der Entwicklungszusammenarbeit und bereitete durch seine kritischen Filme den Weg für den neuen Missionsfilm: Nicht mehr die Bekehrung stand im Zentrum, sondern das Aufzeigen von Missständen in den Ländern des Südens, wie zum Beispiel in seinem erfolgreichsten Film Katutura (1971/72) über das südafrikanische Apartheidregime. Der Autorenfilmer Peter von Gunten wird von Rauh zu Recht als Erfinder des engagierten entwicklungspolitischen Films bezeichnet, denn er prangerte im Sinne der Dependenztheorie die ungleichen globalen Machtverhältnisse und die Mitverantwortung multinationaler Unternehmen an der Armut des Südens an. Sein Film Bananera Libertad (1971) gilt als entwicklungspolitischer Pionierfilm, da er darin das Elend von Bananen-Bauern dem Profit der United Fruit Company (UFC) in anwaltschaftlicher Perspektive gegenüberstellt. Anstatt wie in den frühen Entwicklungshilfefilmen nur Bilder mit einem erklärenden, oft paternalistischen Kommentar zu zeigen, kommt in von Guntens Filmen die lokale Bevölkerung selbst zu Wort. Gemeinsam ist allen drei Filmern, dass sie den Gebrauch ihrer Filme mitgestalteten durch die Organisation von Diskussionsveranstaltungen, die Bereitstellung von Begleitmaterial oder eigene Medienauftritte. Dadurch beeinflussten ihre Filme die Entwicklungsdebatte in der Schweiz massgeblich, was im Fall von Bananera Libertad sogar zur Gründung einer Fair-Trade-Frauengruppe in Frauenfeld führte.

Im abschliessenden dritten Teil analysiert Rauh die erzählerischen Motive, die sich durch alle Filme ziehen und über den Untersuchungszeitraum hinweg teils konstant bleiben, sich aber teils auch verändern. Die Motive entsprechen stereotypischen Perspektiven des Nordens auf den Süden: Einerseits kulturell bedingte Entwicklungshemmnisse wie die gemächliche Arbeitsweise, andererseits externe Entwicklungshemmnisse wie skrupellose Ausbeuter oder zerstörerische Technik. Interessant ist Rauhs Hinweis im Schlusswort, dass dieselben Erzählmotive teilweise noch heute in der multimedialen Berichterstattung von Entwicklungsakteuren präsent seien. Sein Plädoyer dafür, auch in den Filmen über Entwicklungszusammenarbeit anstelle von paternalistischen oder anwaltschaftlichen Perspektiven eine gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe umzusetzen, ist wichtig und richtig. Für seine Untersuchung hat Rauh umfangreiches Quellenmaterial privater wie öffentlicher Archive ausgewertet, insbesondere natürlich Filme, die bisher kaum erforscht wurden. Auch wenn Rauh die Bild- und Tonspur anschaulich in Worten beschreibt und die Filme mit fünfzig Abbildungen (welche leider oft zu dunkel sind) illustriert, werden die bewegten Bilder nicht immer fassbar. Da lohnt sich ein Blick in die Filmausschnitte, welche grösstenteils online zugänglich sind. Insgesamt ist Rauh eine sehr anregende Studie gelungen, die einen wertvollen Beitrag zur Forschung über die Entwicklungszusam menarbeit der Schweiz liefert.

Zitierweise:
Loretan-Diener, Franziska: Rezension zu: Rauh, Felix: Bewegte Bilder für eine entwickelte Welt. Die Dokumentarfilme von René Gardi, Ulrich Schweizer und Peter von Gunten in der Schweizer Entwicklungsdebatte, 1959–1986, Zürich 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (2), 2020, S. 340-341. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00063>.